Bei der Biathlon-WM in Oberhof ist Norwegens Superstar der Top-Favorit – der DSV hofft auf seine Routiniers.
Das Wortspiel ist nicht neu – passt aber immer wieder. Johannes Thingnes Boe – Norwegens dominierender Biathlet der letzten Jahre – geht als großer Favorit in die WM-Wettbewerbe. Der 29-Jährige hat in seiner unglaublichen Karriere eigentlich schon alles gewonnen, wurde 5x bei Olympischen Spielen aufs oberste Podest gerufen und nennt ein Dutzend WM-Goldplaketten sein Eigen. Wer es noch plakativer haben möchte: Boe gewann bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen in Summe 32 Medaillen, hinzu kommen 88 Weltcupsiege, davon 57 in Einzelentscheidungen. Die letzten 13 Weltcuperfolge stammen aus der aktuellen Saison. Dominanter kann man in dieser Sportart eigentlich nicht sein, favorisierter auch nicht. Wird Boe also wie ein Sturm, wie ein Orkan durch den Thüringer Wald fegen?
Die ganze Saison ist voll mit knappen Entscheidungen im Biathlon… Wir geben euch jede Woche wichtiges Insiderwissen, damit ihr den Durchblick für diese Woche habt!
Wer kann Boe stoppen?
Kann dem Dominator aus Stryn in Norwegens Provinz Vestland überhaupt ein Konkurrent das Wasser reichen? Und wenn, wird es ein Landsmann sein? Im Weltcup rangieren mit Sturla Holm Laegreid und Vetle Sjastad Christiansen zwei weitere Norweger hinter dem unumstrittenen Platzhirsch auf dem Plätzen 2 und 3. Das riecht förmlich nach norwegischen Meisterschaften mit internationaler Beteiligung am Grenzadler. Aber Achtung! Mit Quentin Fillon Maillet und Emilien Jacquelin aus Frankreich, Martin Ponsiluoma aus Schweden und den beiden Deutschen Benedikt Doll und Roman Rees gibt es auch internationale Konkurrenz unter den Top-Ten in der aktuellen Rangliste.
Wer jetzt mitgezählt hat, kommt in der Summe der Athleten statt zehn auf die Zahl acht. Stimmt, weil mit den Herren Johannes Dale und Tarjej Boe noch zwei Norweger in der Rangliste weit oben stehen. Was das Trainerteam der Skandinavier mit dem Franzosen Siegfried Mazet und Egil Kristiansen vor ein Luxusproblem stellen könnte. In der Staffel dürfen nämlich nur vier ihrer Jungs ran.

Deutsche Herren mit guten Chancen in den Teams
Die Staffel und die Mixed-Wettbewerbe sind die Wettkämpfe, auf die sich die DSV-Asse bei ihrem Heimspiel in erster Linie fokussieren. Weil dort die Medaillenchancen für die Deutschen wohl am höchsten sein werden. Immerhin kamen die Herren in diesem Winter bei allen Staffelrennen aufs Podest – daran wollen sie in Oberhof anknüpfen. Um die Nominierung der Mannschaft wurde übrigens zäh gerungen, am Ende setzte sich Philipp Nawrath knapp gegen die beiden Thüringer Lucas Fratzscher und Philipp Horn durch, die nun ausgerechnet bei der Heim-WM mit der Zuschauerrolle vorlieb nehmen müssen. In den Einzelentscheidungen hat aus deutscher Sicht wohl Routinier Benedikt Doll die besten Karten. Vielleicht das letzte Hurra des 32-Jährigen Weltmeisters aus dem Schwarzwald?

Offener Schlagabtausch bei den Damen
Norwegens Antwort auf Johannes Thingnes Boe im Frauenbereich hieß im letzten Winter Marte Olsbu Roiseland. Drei Olympische Goldmedaillen in Peking, dazu der Gesamtweltcup, die inzwischen 32-Jährige war im Olympiawinter noch dominanter, als ihr Landsmann mit dem stürmischen Nachnamen. Doch die Vorbereitung auf die aktuelle Saison verlief alles andere als normal, Verletzungen und eine Covid-Infektion ließen einen ordentlichen Formaufbau nicht zu.
Im Gegensatz zu ihrer Landsfrau Tiril Eckhoff, schaffte es die elfmalige Weltmeisterin aber noch auf den WM-Zug, obwohl sie im ersten Weltcup-Trimester hatte passen müssen. Olsbu Roiseland geht in Oberhof deshalb als „freie Radikale“ an den Start. Die Favoritinnen sind andere: Da wäre Julia Simon. Die Französin zeigte sich zuletzt in Antholz in bestechender Form. Die Schwedinnen um Elvira und Hanna Öberg, Linn Persson und Anna Magnusson muss man ebenso beachten, wie die beiden Italienerinnen um Routinier Dorothea Wierer und die wiedererstarkte Lisa Vittozzi. Marketa Davidova aus Tschechien und Österreichs Lisa Theresa Hauser komplettieren das Feld der internationalen Medaillenanwärterinnen.
Die Internationalen Favoritinnen:
Deutschland mit WM-Chancen und einem Ausfall
Die deutschen Hoffnungen ruhen – wie bei den Herren – auch im Frauenbereich auf einer routinierten Athletin. Olympiasiegerin Denise Herrmann-Wick will es noch einmal wissen. Die Sächsin hatte die Heim-WM als Motivationsfaktor bezeichnet, wollte unbedingt bei den Titelkämpfen auf dem Kamm des Thüringer Waldes dabei sein. Beweisen muss sie sich selbst und der Konkurrenz nichts mehr, denn einen kompletten Medaillensatz hat die 34-Jährige bei Welttitelkämpfen schon errungen, Silber gab es sogar schon in vierfacher Ausfertigung. Aber das Laufen vor der großen Kulisse in der Arena spornt Herrmann-Wick an. Zwei Weltcupsiege stehen in diesem Winter für sie schon zu Buche, auch mit der Staffel lief es in der aktuellen Saison gut. Nicht auszuschließen, dass der finale Auftritt mit den drei Kolleginnen das letzte WM-Rennen der einstigen Langläuferin wird.
Speziell im Quartett hatte man bis vor wenigen Tagen noch darauf gehofft, auf Franziska Preuß zurückgreifen zu können. Aber für die Bayerin entwickelte sich der nacholympische Winter noch schlimmer als die Saison 2021/22. Denn im Vorjahr hatte es noch zum Sprung auf den Olympiazug gereicht. Nun musste Preuß die WM nach mehreren vergeblichen Anläufen absagen. Nicht zum ersten Mal übrigens, auch die Welttitelkämpfe in Hochfilzen 2017 fanden ohne sie statt. Die gute Nachricht aber: Ans Aufhören denkt Franziska Preuß trotz des erneuten Rückschlags noch lange nicht. So ruhen die Hoffnungen der deutschen Fans nun vermehrt auf Lokalmatadorin Vanessa Voigt. Die hat doppelten Heimvorteil, denn die 25-Jährige stammt aus dem Örtchen Seligenthal, bis zur WM-Arena sind es da mit dem Auto gerade mal 21 Kilometer. Und nicht nur deshalb kennt Voigt jeden Zentimeter der Strecken. Ihre Karriere im Spitzensport begann als Nachwuchs-Biathletin beim WSV Oberhof.
Noch einmal performen wie 2004?
Voigt und Herrmann-Wick bei den Damen, Benedikt Doll bei den Herren sind die deutschen Hoffnungsträger. Ob die Auswahl noch einmal an die Leistungen der ersten Oberhofer WM-Festtage von 2004 anknüpfen kann, wird eine der Fragen sein, die es in den nächsten Tagen zu beantworten gilt. Damals schnappten sich die Deutschen bei den zehn Entscheidungen sieben Medaillen, gewannen Gold im Verfolger der Herren durch Rico Groß und in der Männerstaffel. In diesem Winter gibt es zwei Wettbewerbe mehr, dafür hat sich die Konkurrenz international insgesamt breiter aufgestellt. Mit Johannes Thingnes Boe ist aber ein Mann dabei, der die Chance hat, die Erfolge, die Raphael Poiree und Liv Grete Skjelbreid (damals: Poiree) 2004 feierten, in den Schatten zu stellen. Das Traumpaar der ersten Oberhofer WM siegte vor 19 Jahren in sieben von zehn Wettbewerben. Die Norwegerin gewann vier der fünf Wettbewerbe, der Franzose hatte drei Mal die Nase vorn.
Sag uns deine Meinung! Schreibe einen Kommentar in die SkiD Familie:
Bleibt dran, neugierig und up-to-date!