Thomas Dreßen pokert beim Heimrennen hoch und wird mit dem vierten Weltcupsieg belohnt – dem ersten eines Deutschen auf der Kandahar seit Markus Wasmeiers Triumph vor 28 Jahren.
Ein paar Tage zum Durchschnaufen kommen für Thomas Dreßen gerade zur rechten Zeit. Das letzte der drei Klassiker-Rennen war für den 26 Jahre alten Mittenwalder zwar das schönste, aber vermutlich auch das stressigste. Als er nach der Weltcup-Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen im Zielstadion die Trophäe für seinen zweiten Weltcup-Sieg in diesem Winter überreicht bekam, ging es für ihn erst richtig los. Pressekonferenz, VIP-Zelt-Auftritt, Autogrammstunde in einem Sportgeschäft am Ort und schließlich noch die Kür, die kleine Party zum Abschluss mit der Familie und den Freunden von früher aus Mittenwald.
Der Traum vom Heimsieg
Dreßen hätte sich kaum einen besseren Ort aussuchen können für seinen zweiten Abfahrtssieg in diesem Winter. Nur ein paar Kilometer entfernt von dem Ort, an dem er aufgewachsen ist, beim einzigen Heimrennen für die deutschen Männer auf der Kandaharstrecke, wo es den letzten – und bis Samstag einzigen – deutschen Abfahrtssieg vor 28 Jahren gegeben hatte. „Es war immer ein Traum, dass ich da mal gewinne. Dass das da heuer schon funktioniert, ist natürlich der Wahnsinn“, gab er zu. Dreßen war bei Markus Wasmeiers Erfolg 1992 noch nicht einmal geboren. Dass der Schlierseer trotzdem sein großes Vorbild wurde, ist angesichts der übersichtlichen Anzahl von deutschen Weltklasse-Schnellfahrern aber keine Überraschung.
Anerkennung vom Doppel-Olympiasieger
Markus Wasmeier und Thomas Dreßen kennen sich seit vielen Jahren. Dreßen stand mit Wasmeiers Söhnen in den Nachwuchs-Kadern. Als er sich zehn Monate nach seinem Kitzbühel-Sieg in Beaver Creek einen Totalschaden in Knie zuzog und operiert werden musste, besuchte ihn Wasmeier im Krankenhaus. Dass der Nachfolger bereits in seiner Comeback-Saison wieder zum Siegfahrer wurde, ist für Wasmeier keine Selbstverständlichkeit. „Viele quälen sich nach schweren Verletzungen Jahre, bis sie wieder den Anschluss finden. Und Thomas kommt und macht das Ding“, sagte der Doppel-Olympiasieger von 1992.
Dreßen hat mit vier Siegen bereits doppelt so viele wie sein Idol. „Er löst mich in allen Dingen ab“, sagte Wasmeier, als er neben Dreßen bei der Pressekonferenz stand. Jetzt fehle nur noch Wengen im Weltcup und „Olympia kommt dann auch noch“. WM-Gold hat er seinem Nachfolger ebenfalls voraus.
Mit Mut und Risiko zum Erfolg
Für den Teamkollegen Josef Ferstl steht es außer Frage, dass Dreßen „der Mann für die Zukunft“ ist. Er sei „einfach einen Schritt voraus“. Bewusst hatte sich Dreßen bei der Startnummernauslosung für die „1“ entschieden, ein hohes Risiko, wie Alpinchef Wolfgang Maier fand, weil der Athlet sich alleine auf die Eindrücke aus dem einzigen Training am Tag zuvor und der Besichtigung am Morgen verlassen muss. Obendrein hatte sich die Piste nach Schneefall und Regen ständig verändert.
Großartige Atmosphäre
Aber Dreßen hatte längst einen klaren Plan – und ahnte, wo der Schlüssel zum Sieg liegen würde. Beim Training habe er sich den Lauf des Amerikaners Travis Ganong im letzten Abschnitt angeschaut, erzählte er, und „gesehen, dass er eng aus der Ausfahrt Hölle rauskommt. Da habe ich mir das auch vorgenommen“ – und perfekt umgesetzt. Als er im Ziel abschwang, war er von den rund 10.000 Zuschauern auf und neben der Tribüne gefeiert worden. „Wenn man mit der Nummer eins ins Ziel kommt, führt man ja logischerweise, aber dass die Leute trotzdem so abgehen, ist Wahnsinn“, fand Dreßen. Nur wenige Athleten wählten anschließend eine ähnliche Linie, aber keinem gelang so eine gute Fahrt von oben bis unten wie Dreßen. „Er hat Fähigkeiten, die nur ganz wenige Rennfahrer zurzeit in der Welt haben. Er gehört ohne Diskussion zu den drei besten auf dem Planeten“, findet Alpinchef Maier.
Mit Spaß zum Erfolg
In der Woche davor hatte Dreßen ein wenig Lehrgeld bezahlt in Kitzbühel. „Das war jenseits von gut und böse von meiner Seite“, gibt er zu. Zum ersten Mal war er an einen Ort zurückgekehrt, an dem er bereits gewonnen hatte – und hatte sich wohl ein bisschen anstecken lassen vom Hype. „Normalerweise bin ich der Typ, der vor dem Rennen noch so a bissel a Gaudi macht und rumflachst und blöd redet, und in Kitzbühel war das alles a bissel zu streng.“ Dreßen erkannte nach dem 26. Platz, dass es nichts bringt, etwas ganz besonders gut machen zu wollen. Er hat sich vorgenommen, „dass ich wieder einen Schritt zurückgehe und schaue, dass ich in erster Linie Spaß habe“. Locker zum Sieg, sozusagen.