Das IOC hat die Nordische Kombination der Damen nicht für die Spiele 2026 zugelassen
Die Nordische Kombination – Das Ur-Gestein der Olympischen Spiele
Eigentlich glaubten die Athlet:innen und auch alle anderen fest an die Olympische Zukunft für die Nordische Kombination der Damen. Denn es war das Internationale Olympische Komitee, dass dem Weltskiverband FIS vor Jahren ins Stammbuch geschrieben hatte, endlich auch in der letzten Männerdomäne des Skisports für Gleichberechtigung zu sorgen.
Seit der Erstauflage 1924 hatte die Kombination immer auf dem Olympischen Programm gestanden, zählt damit zu den traditionsreichsten Skidisziplinen. Bei den Männern. Überhaupt sind nur Eiskunstlaufen und Eishockey als Wintersportarten in Bezug auf Spiele noch traditionsreicher. Sie waren vor der Premiere der Wettkämpfe im Zeichen der Ringe im Winter nämlich schon Bestandteil der Sommerspiele. Der erste Olympiasieger in der Nordischen Kombination kam – wie sollte es anders sein – aus Norwegen. Sein Name: Thorleif Haug. Es war ein Dreifachsieg der Skandinavier, eigentlich sogar ein Vierfacherfolg, hinter dem Champion und seinen Landsleuten Strömstad und Groettumsbraten belegte Harald Oekern den undankbaren vierten Platz. Ein Ergebnis, dass man der Sportart 98 Jahre später sicher vorgeworfen hätte. Aber der Reihe nach…
Ein Sport für die ganze Persönlichkeit
Die Nordische Kombination erfüllt eigentlich genau das, was sich Gründervater, Baron Pierre de Coubertin, von Olympischen Wettbewerben erhofft hatte: Vielfältigkeit, Universalität, die Kombination hervorragender Eigenschaften. Benötigt werden Schnell- und Maximalkraft, Koordination, Mut, Ausdauer, Geschicklichkeit – kurz und gut: Gefordert ist die ganze Persönlichkeit.
Der Sport hat Helden hervorgebracht: Johan Groettumsbraten war der erste. Es folgte eine Phalanx der Deutschen beginnend beim Schwarzwälder Georg Thoma, über Franz Keller und Georg Hettich bis zu Eric Frenzel und zuletzt Vinzenz Geiger. Überstrahlt wird aus deutscher Sicht wohl alles von Ulrich Wehling, der von 1972 bis 1980 drei Mal in Folge bei den Spielen triumphierte, bis heute unerreicht. Drei Siege gelangen dem Finnen Samppa Lajunen 2002 auf einen Ritt, da gab es aber im Gegensatz zu den frühen Jahren auch drei Wettbewerbe.
Schicksalsschlag für die Nordischen Kombiniererinnen
Nun also die Frauen: Die sollten (und wollten) olympisch werden. Keine leichte Sache auf der einen Seite, nicht unlösbar auf der anderen. Und so machte man sich beim Ski-Weltverband – wenn auch gemächlich – auf den Weg. Die Skispringerinnen galten als Vorbild. Sie hatten nach diversen Anläufen 2009 in Liberec ihre erste WM absolviert, fünf Jahre später siegte Carina Vogt bei der Olympiapremiere in Sotschi.
Bei den Kombiniererinnen war – weil sportartspezifisch zweigleisig trainierend – noch mehr Aufwand nötig. Doch nach eher zähem Beginn, der verhinderte, dass die Frauen schon 2022 in Peking bei den Spielen dabei sein konnten, nahm die Sache Fahrt auf. In Oberstdorf gab es 2021 die WM-Premiere mit 31 Starterinnen (bei den Springerinnen waren 2009 in Liberec 36 Frauen dabei), der Weltcup-Auftakt wäre sicherlich anders verlaufen, hätte nicht Corona dem gesellschaftlichen Leben insgesamt einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun aber gibt es den Weltcupkalender, in Planica 2023 sind die Damen ebenso bei der WM dabei wie 2025 in Trondheim, wieder sind die Parallelen zu den Skispringerinnen unverkennbar.
Aber: Beim IOC befand man die Entwicklung als nicht ausreichend. So zumindest die offizielle Begründung. Was zu einer Riesenenttäuschung bei den Betroffenen führte. Und zu zwei Fragen: Warum und Wie jetzt weiter?
Wenn das IOC es traditionellen Sportarten immer schwerer machen möchte, sehe ich für die Olympischen Spiele in der Zukunft allgemein keinen großen Bestand.
– Eric Frenzel

Die Frage nach dem Warum?
Bei der Suche nach den Gründen für die anhaltende Verbannung der Kombiniererinnen aus dem Olympischen Programm muss man der Fairness halber schon festhalten, dass die Nordische Kombination im Frauenbereich den Leistungszenit noch lange nicht erreicht hat. Aber das ist kein Alleinstellungsmerkmal – Stichwort Skispringerinnen oder wahlweise Monobob oder Halfpipe, die Liste ließe sich erweitern. Ein Blick auf die vom IOC genannten weiteren Gründe lässt den Betrachter eher kopfschüttelnd zurück. Nur Europäerinnen? Der erste Gesamtweltcup ging an eine Athletin aus den USA, in der zu Ende gegangenen Saison trumpften am Schluss die Japanerinnen groß auf. Nur 10 Nationen im Weltcup ist einfach nicht wahr, es waren mehr als ein Dutzend. Bliebe der Fakt der Nachhaltigkeit. Aber der spricht für die Damen, denn Schanzen und Loipen sind schon da, müssen nicht zusätzlich gebaut werden und erfahren ohne die Kombination der Frauen eine geringere Auslastung.
Setzt man die mangelnde Wettkampferfahrung als Maßstab an, muss sich das IOC schon die Frage gefallen lassen, warum dann der Doppelsitzer der Rennschlitten-Frauen praktisch von den Herren der Ringe erfunden wurde, den gibt es nämlich – abgesehen von ein paar Spaßwettbewerben – noch gar nicht. Dagegen spielte im Bereich Nordische Kombination das Thema Geschlechtergleichheit plötzlich gar keine Rolle mehr. Erstaunlich! War es doch das Internationale Olympische Komitee selbst, dass den entscheidenden Anstoß gegeben hatte.
Ist die fehlende Vielfalt der Athletinnen das Problem?
Last but not least: Das Argument, bei den Spielen seit 2014 seien die Medaillen nur an Vertreter aus vier Nationen gegangen, ist korrekt. Spannt man den Bogen allerdings etwas weiter und nimmt die letzten 30 Jahre ins Visier, dann kommen schnell Olympiasieger aus Norwegen, Finnland, den USA, Japan, Frankreich, Österreich und Deutschland ins Spiel, das sind in Summe sieben Länder von drei Kontinenten. Diese Ausbeute zu überbieten, dürfte den meisten anderen Wintersportarten nicht leichtfallen. Zählte aber eben leider alles nicht bei der Entscheidung, die das Olympische Gremium jetzt verkündete.
Droht der Tod der Nordischen Kombination?
Zumindest in einem Punkt ist das IOC aber ehrlich – nur hat der nichts mit den Frauen zu tun. Die Olympier bemängeln seit geraumer Zeit das geringe mediale Interesse. Und da die Einschaltquote beim Fernsehen kontinuierlich sank, schlug man gegenüber der FIS schon vor einiger Zeit Alarm. Doch der wurde überhört.
Und weil die Sportart im Gegensatz zu trendigen und jungen Formen der Körperertüchtigung im Schnee auch nicht gerade „hip“ ist, fehlt das junge Zielpublikum, damit die Klicks und Aktivitäten im Social Media Bereich – einer Währung, nach der man im IOC in den letzten Jahren regelrecht süchtig ist. Wohlgemerkt – wir reden hier von den Männerwettbewerben. Und den Herren der Schöpfung schrieb man deshalb gleich mit ins Stammbuch, schnellstens dafür zu sorgen, dass sich dieser Zustand ändert, sonst würde man nach Mailand 2026 nicht nur den ersten Olympiasieger in der Nordischen Kombination kennen, sondern auch den letzten. Der Sportart droht also ein Tod auf Raten.

Ich muss lange überlegen, wann ich das letzte mal in meinem Leben so enttäuscht und frustriert war, wie in diesem Moment.
– Horst Hüttel, DSV Sportdirektor
Aufgeben ist keine Option
Was aber tun? Der Ball liegt – so viel ist klar – ganz eindeutig im Feld der FIS. Der Weltskiverband steht allerdings vor einer Mammutaufgabe, die fast der Quadratur des Kreises gleicht. Will man den Fortbestand der Nordischen Kombination bei den Spielen im Zeichen der Ringe sichern, muss sich etwas tun. Die Frauen benötigen Unterstützung, inhaltlich wie materiell. Denn ohne olympische Perspektive können die Förderungen in den nationalen Verbänden nicht im gewünschten Maße aufrechterhalten werden. Es bedarf einer Marketing-Offensive, um die Sportart selbst und deren Protagonisten populärer zu machen. Stars kann man schaffen – wenn man es nur will. Das Potential dazu ist da. Traditionell starke Nationen müssen wieder an die Weltspitze herangeführt werden, Frankreich beispielsweise, die USA, aber auch Länder in Osteuropa, China oder Südkorea. Das Hauptproblem daran: Das Ganze muss in Windeseile passieren. Spätestens 2026 steht die Sportart wieder zur Disposition. Dann droht das endgültige Ende. Es wäre ein Jammer.
Dem IOC dagegen sei ins Stammbuch geschrieben: Wer jedem Trend hinterherrennt und dabei seinen Markenkern verliert, der wird beliebig. Genau das waren Olympische Spiele (bisher) aber nicht, genau das machte einen Teil ihrer Einmaligkeit aus. Und die Nordische Kombination ist – bei aller Kritik – Teil des Markenkerns im Winter.
Ich denke, ich spreche im Namen aller Athleten, dass wir das als Motivation nehmen. Wir werden weiter kämpfen.
– Jenny Nowak
