Carina Vogt: Deutschlands erfolgreichste Skispringerin auf der Suche nach der alten Stärke
Sie ist die erfolgreichste Skispringerin der Welt, wenn man Titel bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen addiert: Carina Vogt. Sie ist eine Athletin, die immer dann auf den Punkt topfit war, wenn es um Titel und Medaillen ging. Das begann 2014, als der Degenfelderin Sprünge für die Geschichtsbücher gelangen. In Sotschi wurde die damals 22-Jährige erste Olympiasiegerin in ihrer Disziplin – ohne je zuvor einen Weltcup zu ihren Gunsten entschieden zu haben. Von Null auf Hundert – für Vogt eine Situation, mit der sie Grenzen sprengte, die sie aber auch an ihre Grenzen brachte. Denn mit der Goldmedaille brach das öffentliche Interesse über der introvertierten jungen Frau herein, Empfänge in der Heimat, Journalistenanfragen, selbst unerkannt einen Kaffee zu trinken oder ein Eis zu essen geriet zum Ding der Unmöglichkeit.
Außerdem meldete sich das Knie, die Saison war vorzeitig vorbei und eine Operation stand an. In der Folge zog sich Carina Vogt zurück – und trainierte. Mit Erfolg, denn im Jahr darauf in Falun gewann die Polizeibeamte gleich noch 2x Gold, und zwei Jahre später in Lahti wieder, damals vielleicht in der Form ihres Lebens, denn Carinas überragenden Sprüngen war es zu verdanken, dass auch das Mixed-Team auf dem obersten Treppchen stehen konnte. An den Rummel um ihre Person hatte sich die junge Frau aus dem Südwesten des Landes inzwischen gewöhnt. Aber wenn sie entspannen wollte, dann ging es oft hoch hinaus, auf die Berge. Dort fand und findet Carina Entspannung, ihre Ruhe, ihren Frieden.

Carina Vogt: Trotz Rückschlägen immer wieder zur Stelle
Doch es mehrten sich auch die Blessuren. So verlief die Vorbereitung auf die Saison 2017/18 holpriger als in den Jahren zuvor. Aber als die Wettkämpfe auf der Olympiaschanze in Pyeongchang anstanden, da war Vogt wieder topfit. Noch heute sind sich viele Beobachter, auch ihr Trainer Andreas Bauer, darüber einig, dass es in erster Linie den widrigen äußeren Umständen ausgerechnet bei ihrem Sprung im Finaldurchgang geschuldet war, dass beim zweiten Olympia-Einsatz nicht die zweite Medaille heraussprang. Carina wurde Fünfte und der Fokus richtete sich diesmal auf Teamkollegin Katharina Althaus, die Silber holte.
Eine ähnliche Situation gab es im Jahr darauf. Diesmal war Seefeld das Ziel der Träume, die WM in Österreich stand an. Vogt schaffte es verletzungsbedingt erst relativ spät, die Nominierungskriterien zu erfüllen. Aber in Tirol war dann alles wie gehabt – es gab die fünfte WM-Goldmedaille, wieder bei einer Premiere, diesmal die im Mannschaftsspringen. 5 Goldene bei Weltmeisterschaften, das schaffte in Deutschland noch niemand, kein Recknagel, Aschenbach, Thoma, Weißflog, kein Martin Schmitt, kein Sven Hannawald.
Alles ändert sich
Und dann kam der Tag Anfang Juli 2019, der das sportliche Leben der Erfolgsverwöhnten völlig auf den Kopf stellen sollte. Ein Riss des vorderen Kreuzbands im rechten Knie – Folge eines Trainingssturzes – bedeuteten schon im Sommer das Saisonaus für die damals 27-Jährige. Es folgte eine lange Reha und ein zehrendes Aufbautraining. Gerade als sie sich wieder an die nationale Spitze herangekämpft hatte, folgte der nächste Schock. Diesmal war es ein Bänderriss im Fuß, zugezogen bei einem Spaziergang. Aber Carina Vogt ist eine Kämpferin, gab nicht auf, auch nicht, als sich das operierte Knie erneut meldete, das Training eingeschränkt werden musste, nichts so laufen wollte, wie gewünscht. Erst im Januar 2021 kehrte Carina Vogt in den Weltcup zurück, kam in Hinzenbach auf einen hervorragenden elften Platz.

Und wieder Neuland
Und nun geschah etwas, was die Degenfelderin – Degenfeld ist ein Ortsteil von Schwäbisch-Gmünd – so noch nicht erlebte. Die Form verschwand ebenso urplötzlich, wie sie gekommen war. Und damit zerstoben die (berechtigten) Hoffnungen, auch bei der Heim-WM auf den Punkt topfit zu sein. Hinzu kommt, auch die Orientierung an den Teamkolleginnen half mit Blick auf die Weltspitze nur bedingt. Im Moment sind die deutschen Damen zwar gut, aber nicht gut genug für Medaillen. Und so sprang für die Erfolgsverwöhnte in Oberstdorf Platz 30 heraus – eigentlich ein Erfolg, denn nur wer das Finale der WM-Konkurrenz erreicht, kann überhaupt 30. werden.
Für Carina Vogt aber ein Desaster, eine Situation, an der sie knabbert. Da hilft es auch nur bedingt, dass Kolleginnen, Trainer, Freunde und Bekannte versuchen, ihre nahezubringen, dass allein das Erreichen der WM nach ihrer langen Krankheitsgeschichte schon ein großer Erfolg war. Eine Vogt hat andere Vorstellungen von Erfolg, höhere Ansprüche an sich selbst. Folglich war die Platzierung für sie eine Niederlage, eine große Enttäuschung.
Gut möglich, dass ihr heller Verstand ihr sagt, dass die vielen Gutmeinenden um sie herum sogar recht haben. Ihr Gefühl sagt Carina etwas Anderes. Das Gefühl, auf dem Treppchen zu stehen, dass sie seit 2013 kennt, als sie im Mixed-Team bei der WM in Val di Fiemme ihre erste Medaille gewann, eine Bronzene. Dieses Gefühl ist so schön, dass sie es noch einmal spüren möchte. Und deshalb wird sie wieder angreifen, wenn die Gesundheit das zulässt. Ihr neues Ziel heißt Peking 2022.