17 Jahre nach Martin Schmitt kommt wieder ein Deutscher als Weltcupspitzenreiter zur Vierschanzentournee und mit der Hoffnung auf den Gesamtsieg
Die Durststrecke hält schon lange an. Viel zu lange aus Sicht der deutschen Skisprungfans. Schlimmer noch: Die unter 20-Jährigen haben gar keine Vorstellung davon, wie es ist, wenn in Bischofshofen die Vierschanzentournee endet und ein DSV-Adler auf dem obersten Treppchen steht. Sven Hannawald war der letzte Deutsche, dem dieses Kunststück gelang. Das war im Jahr 2002 und der Triumph des Wahl-Schwarzwälders einmalig, denn Hannawald brachte in der langen Geschichte der Tournee das bisher einmalige Kunststück fertig, alle vier Springen zu gewinnen. Der Sieg des Hinterzarteners war Höhepunkt der Skisprung-Euphorie made in Germany, deren Protagonisten, Hannawald selbst und sein Teamkollege Martin Schmitt versuchten fortan – ebenso wie ihre Nachfolger – erfolglos, einen Gesamtsieg zu ergattern.
Deutschlands Skiadler jahrelang in der Tournee-Krise
Im Gegenteil, es dauerte gefühlt ewig, ehe nach Hannawald, der nach seinen Siegen bei der Tournee-Auflage 2001/02 auch das Auftaktspringen des folgenden Winters zu seinen Gunsten entschieden hatte, wieder ein Deutscher bei einer Einzelkonkurrenz im Rahmen der Tournee für sich entscheiden konnte. Das war im Januar 2015 und der junge Mann, der am Bergisl den Bann brechen konnte, hört auf den Namen Richard Freitag.
Richard Freitag als Hoffnungsträger
Jetzt, im Olympiawinter, könnte es ausgerechnet jenem Richard Freitag gelingen, auch die andere – seit 15 Jahren uneinnehmbare – Festung zu erstürmen und endlich wieder zum Gesamtsieg für Deutschland zu segeln. Denn der Sachse reist als Spitzenreiter des Gesamtweltcups zur ersten Station der Tournee nach Oberstdorf. Keine Garantie für einen Tourneesieg, aber nach dem ersten Drittel der Saison steht fest: Alle anderen Weltcupstarter haben der Papierform nach schlechtere Karten als der Sachse.
Freitags bisherige Bilanz – ein Wechselbad aus Höhen und Tiefen
Dessen Karriere gilt bisher als „Die Unvollendete“. Denn der bereits erwähnte Erfolg von Innsbruck war – vor Saisonbeginn – der bisher letzte in der Laufbahn des schmächtigen Mannes, der von seiner Statur her, ein wenig an seinen erzgebirgischen Landsmann Jens Weißflog erinnert. Danach kämpfte Freitag mit Krankheiten und deren Nachwehen, wechselte die Skimarke und zuletzt sogar den Wohnsitz. Für Außenstehende jedenfalls steht fest: Auch die Ortsveränderung – verbunden mit exzellenten Trainingsbedingungen in Oberstdorf – hat Freitag gut getan. Nach vielen Rückschlägen in den letzten Jahren hin und wieder schon als „ewiges Talent“ verschrien, konstatieren Trainer und Experten in diesem Winter eine Leistungsexplosion, gekoppelt mit nervlicher Stabilität und einer neu entdeckten Leichtigkeit des Fliegens. „Wenn es läuft, macht es richtig Spaß – und im Moment läuft es“, erklärte der 26-Jährige deshalb auch völlig entspannt nach seinem letzten Weltcupsieg in Engelberg. Aber in Bezug auf die Vierschanzentournee seien Vorschusslorbeeren völlig unangebracht, die Form zu konservieren ginge nicht, vielmehr läge sein Fokus nun wieder auf dem Training und der Stabilisierung der Abläufe. Gelingt das, dann könnte es klappen mit dem Gesamtsieg bei der Tournee. Freitag jedenfalls reist als einer der Favoriten ins Allgäu. Und kennt die Regeln, immerhin ist der Sachse schon seit 2009 im Weltcup-Zirkus unterwegs, gewann 2011 zum ersten Mal eine Einzelkonkurrenz, damals in Harrachov.
Die Vierschanzentournee – der erste von mehreren Saisonhöhepunkten
Freitag ist aber auch klar, dass diese Olympische Saison noch mehrere Höhepunkte bereithält. Die Skiflug-WM in Oberstdorf beispielsweise, ein Wettbewerb, der dem ausgezeichneten Flieger durchaus in die Karten spielen könnte. Und natürlich die Olympischen Spiele in Pyeongchang. Dort will Freitag unbedingt ins Team. Und damit eine Scharte ausmerzen, die ihn noch immer schmerzt. Denn 2014, beim Gold-Triumph von Sotschi, musste er als Ersatzmann zuschauen. Aber bis zu den Spielen in Korea ist noch etwas Zeit. Was zunächst zählt, ist eine erfolgreiche Vierschanzentournee – egal, mit welchem Endergebnis.