DSV und ORTEMA entwickeln Schutz vor Knieverletzungen.
Knieverletzungen stehen an der Spitze der Verletzungsstatistiken im Skirennsport. Die Konsequenzen – etwa eines Kreuzbandrisses – sind für jeden Athleten und Hobby-Skifahrer weitreichend: Operation, monatelange Nachbehandlung. Und für Spitzensportler der harte Kampf, den Trainingsausfall zu kompensieren und die Wettkampfform wiederzuerlangen. Mit dem Tragen von Helmen und Protektoren gibt es eine ganze Reihe von Schutzmaßnahmen, die im Weltcup-Zirkus und auf der Freizeit-Piste mittlerweile zum Alltag gehören. Lediglich für das am häufigsten von Verletzungen betroffene Kniegelenk gab es im Skisport bislang keinen praktikablen Schutz. Grund genug für den DSV, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Knie vor unphysiologischen Belastungen schützen
Die entscheidende Idee entwickelten Charly Waibel und Hartmut Semsch, Geschäftsführer des Markgröninger Orthopädietechnikunternehmens ORTEMA, das als Kooperationspartner die Alpinen des DSV seit Jahren mit Protektoren ausstattet. Nach einem Weltcup-Rennen, bei dem ein DSV-Athlet sich einen Kreuzbandriss zugezogen hatte, wandte Semsch sich an den damaligen Wissenschaftkoordinator und heutigen Bundestrainer Wissenschaft des DSV: „Ist es denkbar, die Athleten im Skisport durch Knie-Orthesen vor Verletzungen zu schützen?“
Für Waibel war es denkbar. Eine Expertengruppe aus Orthopädietechnikern, Biomechanikern, Ärzten, Trainern und erfahrenen Athleten wurde zusammengestellt, um sich die Frage zu beantworten. Ausgehend von Erfahrungen mit Eishockeyspielern und Motocrossfahrern, die Semsch bereits mit Orthesen für den präventiven Einsatz während der Sportausübung versorgt hatte, wurde zunächst das Standardmodell „K-Com“ getestet. Um zu prüfen, ob sie die Ski-Rennläufer bei einem Sturz vor Verletzungen schützen kann, fuhr man nach Berlin: Am Messstand des Instituts für Konstruktion, Mikro- und Medizintechnik der TU Berlin wurde getestet, ob die Orthese den bei einem Sturz wirkenden Kräften widerstehen kann. Ergebnis: „Das System schützt, es kann im Sturzfall genug Energie aufnehmen, um eine Knieverletzung zu verhindern“, fasst Waibel zusammen.

Passt: H. Semsch (li.) und M. Wölfl bei der Anprobe
Nun galt es, die Orthesen auf der Rennpiste zu testen. In der Skihalle in Hamburg-Wittenburg standen hierzu drei Nachwuchsathleten des DSV am Start. Welchen Einfluss würde die Orthese auf die Performance haben? „Unsere Befürchtung war, dass das Eindrehen des Knies, also die Feinregulation des Kantwinkels beeinträchtigt sei“, berichtet Charly Waibel. Doch nach mehreren Läufen durch den Slalomparcours hatten sich die Bedenken zerstreut. Die Laufzeiten unterschieden sich nicht von den ohne Orthesen durchgeführten Kontrollläufen. „Die Orthesen verhindern lediglich unphysiologische Belastungen, die Performance wird nicht beeinträchtigt“, resümiert Waibel.
Die Ergebnisse der ersten Testphase fanden bei der Expertengruppe Anklang. Die Orthese schützte und führte nicht zu Leistungsbeeinträchtigungen. Es waren aber noch Verbesserungen im Tragekomfort notwendig. Die modifizierte Version verfügt nun über Schalen aus Kohlefaser mit einer Wandstärke von nur 1,5 Millimetern, die auf Basis eines Gipsabdrucks individuell der Anatomie des Sportlers angepasst werden. Für den Schutz des Gelenks sorgen Schienen aus Titan. Gewicht: 250-300 Gramm. Die Athleten waren begeistert: „ Nach kurzer Gewöhnung ist die Orthese kaum noch zu spüren.“

Individuell: Ein Gipsabdruck ermöglicht eine exakte Anpassung
Ziel: Reduzierung von Knieverletzungen
Mittlerweile tragen diverse DSV-Athleten aus den Bereichen Alpin und Ski Cross die Orthesen und vertrauen dem „Knieschützer“ von ORTEMA in Training und Wettkampf. Doch die Entwicklungsarbeit ist noch nicht beendet: „Die von den DSV-Athleten verwendeten Prototypen sind noch nicht serienreif, wir sind aber auf dem richtigen Weg“, sagt Waibel. Langfristiges Ziel ist es, Orthesen zu entwickeln, die präventiv auch im Nachwuchs- und Breitensportbereich eingesetzt werden können. „Ähnlich wie in der Formel 1, dient uns der Spitzensport hierbei als Testfeld für die Serienproduktion“, erläutert Hartmut Semsch. Ein für den Breitensportler erschwingliches Serienmodell, wäre ein durchaus sinnvolles Angebot. Denn: „Nicht nur im Rennsport, sondern auch im Freizeitbereich steht das Kniegelenk an der Spitze der Verletzungsstatistiken“, weiß DSV-Mannschaftsarzt Dr. Ernst-Otto Münch. Der Orthopäde und Sportmediziner verfügt über eine 20-Jährige Erfahrung in der Behandlung von Knieverletzungen bei alpinen Skifahrern. „Nach einem Kreuzbandriß ist das Risiko einer neuerlichen Verletzung im Vergleich zu einem unverletzten Knie erhöht. Für alle „Kniegeschädigten“ wäre daher das Tragen einer guten Orthese empfehlenswert.“
Auszug aus dem DSV aktiv Ski & Sportmagazin. DSV aktiv-Mitglieder erhalten die Mitgliederzeitschrift „DSV aktiv Ski & Sportmagazin“ sechsmal im Jahr kostenlos.