Die Skiflug-WM – Man kann im Einzel schief liegen, im Team dann prima Skifliegen
Am Tag nach der Skiflug-WM konnte man den Stellenwert der Welttitelkämpfe in den deutschen Zeitungen gut erkennen. Dem größten Boulevardblatt des Landes war die WM keine Zeile wert. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) dagegen widmete den kühnen Fliegern einen Mehrspalter und lobte den neuen Einzelweltmeister Marius Lindvik überschwänglich. Als passende Überschrift hatte das Blatt ein Zitat von Markus Eisenbichler gewählt: „Man fühlt sich wie Aladdin auf dem fliegenden Teppich“, hatte der Siegsdorfer den Zustand beschrieben, den die Sportler erleben, wenn sie tatsächlich ins Fliegen kommen.

Keine Glanzleistung der Deutschen Skiflieger
Leider gelang das den DSV-Adlern am ersten Wettkampftag überhaupt nicht, deshalb war der Kampf um Titel und Medaillen für die fünf Deutschen schon nach zwei Durchgängen vorbei. Der entthronte Titelverteidiger Karl Geiger, der wie alle Deutschen am „schwarzen Freitag von Vikersund“ kräftig Feder gelassen hatte, konstatierte nach dem Videostudium am Tag darauf. Er habe bei der Anfahrt einen Fehler eingebaut, mit der Berechnung der Schanze schief gelegen. Was aber für die Athleten sprach – sie konnten sich steigern, die Fehler weitestgehend korrigieren. Geiger war am zweiten Tag der Einzelentscheidung wieder mit in der Spitze dabei, Andreas Wellinger steigerte sich von Sprung zu Sprung. Severin Freund und Constantin Schmid lieferten solide und auch Markus Eisenbichler, bei der letzten WM immerhin Bronzemedaillengewinner, fand allmählich zu seiner Form.
Und dennoch: Mit dem Kampf um die Medaillen hatten die Deutschen nichts zu tun. Was bei Bundestrainer Stefan Horngacher in der Kampfansage für den Mannschaftswettbewerb mündete. Man wolle jetzt eine Medaille. Ein verwegener Wunsch – mit Blick auf die Resultate in der Einzelentscheidung.
Kampfansage für das Teamspringen der Skiflug-WM
Was folgte, war eine enorme Leistungssteigerung der gesamten Mannschaft. Dass die als Team funktionierte, hatte sich schon am Samstagabend gezeigt. Denn der Bundestrainer stand vor der schwierigen Entscheidung, Springer Nummer vier zu benennen. Geiger, Freund und Wellinger galten als gesetzt, zwischen Eisenbichler und Schmid fiel die Entscheidung. Horngacher nominierte den Routinier, gestählt in vielen Teamwettbewerben, mit Potential. Zudem ein unter normalen Bedingungen begnadeter Flieger. Schmid – der Grundsolide – blieb außen vor. Die Reaktion des Nicht-Nominierten zeigte aber den Charakter der Mannschaft. Schmid verbiss sich seine Enttäuschung und kommentierte lakonisch, nun werde er die Truppe eben unterstützen.
Die konnte diese Unterstützung auch gut gebrauchen. Denn schon vor dem ersten Teamdurchgang war klar – es würde einen Vierkampf um die Medaillen geben. Der allerdings hatte sich sehr schnell in einen Dreikampf um Silber und Bronze verwandelt, weil die Slowenen das Geschehen nach Belieben dominierten. Am Ende hatte der neue Weltmeister einen Vorsprung von 128 Punkten auf den zweiten Platz – seit es Mannschaftsfliegen bei Weltmeisterschaften gibt war noch kein Quartett dominanter. In Weite umgerechnet waren die Südosteuropäer bei acht Versuchen damit knapp 107 Meter weiter gesegelt als die Konkurrenz. Kann ein WM-Titel verdienter errungen sein?

Der Medaillen-Kampf bei der Skiflug-WM in Vikersund
Hinter den Dominatoren, die tatsächlich vom Auslauf betrachtet regelrecht einschwebten, entwickelte sich nun ein Dreikampf zwischen Gastgeber Norwegen, Österreich und den Deutschen. Und aus DSV-Sicht funktionierte der Plan. Severin Freund begann grundsolide – wenn man eine Weite jenseits der 200 Meter als „grundsolide“ einstufen darf. Andreas Wellinger lieferte einen famosen Sprung auf 224,5 Meter ab und schaffte ein erkleckliches Polster auf die beiden anderen Nationen. Markus Eisenbichler hielt dem Druck der Konkurrenz stand und Karl Geiger lieferte ebenfalls. Deutschland bei Halbzeit auf Silberkurs, das war mehr, als man nach dem Einzelspringen erhoffen durfte.
Aber es wurde noch einmal spannend. Denn Severin Freund konnte seinen guten Flug aus Durchgang eins im Finale nicht bestätigen und nach fünf von acht Versuchen lagen die Deutschen plötzlich nur noch hauchzart vor dem medaillenlosen vierten Platz. Aber Andreas Wellinger drehte die Sache wieder um und Markus Eisenbichler konnte Platz 2 behaupten. Und so kam alles auf den achten und letzten Versuch an. Gut, die Slowenen hätten schon ohne Skier springen müssen, um Gold noch in Gefahr zu bringen. Aber die drei anderen Springer, allesamt wahre Meister ihres Fachs, die lieferten eine Flugshow, die allen Beteiligten und Zuschauern wohl noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Zunächst feuerte der neue Weltmeister, Marius Lindvik, auf 228 Meter ins Tal. Bei Rückenwind und nicht eben überbordend langem Anlauf. Dann folgte Stefan Kraft. Der schaffte ebenfalls sehr gute 220 Meter. Das war weit, aber nicht weit genug, um den Platz vor den Gastgebern zu behaupten. Und dann folgte Karl Geiger. Der musste liefern und mindestens die 220 Meter von Kraft erreichen, um eine Medaille abzusichern. Auch gegenüber Lindvik war der Vorsprung nicht berauschend, 225 Meter hätten es sein müssen.

Und Geiger lieferte. Katapultierte sich vom Schanzentisch, sah in der Luft aus respektabler Entfernung aus wie ein Flughörnchen, so stabil die Lage. Sagenhafte 238 Meter dauerte die Luftfahrt des Oberstdorfers. Schon kurz nach der Telemarklandung brach die Freude aus ihm heraus, im Tal jubelte die Mannschaft mit. Wie stark der Flug des Allgäuers war, bewies anschließend die Tatsache, dass sogar Sloweniens Schlussspringer Anze Lanisek nicht mehr an die Weite des Deutschen herankam. Geiger war damit nicht nur glücklicher WM-Zweiter, sondern darf auch für sich verbuchen, als einziger Nicht-Slowenen seine Runde gewonnen zu haben.
Die Entscheidung im Gesamtweltcup ist für Geiger noch nicht gefallen
Und so ganz nebenbei hat Geiger noch eines gezeigt: Der Kampf um den Gesamtweltcup, der ist noch nicht vorbei. Im Augenblick liegt der Deutsche noch hinter Ryoyu Kobayashi aus Japan. Es gibt aber noch vier Einzelwettbewerbe. Zwei in Oberstdorf und zwei in Planica – jeweils von der Flugschanze. Und die Liebe zu den ganz großen Bakken, die scheint Karl Geiger ja in Vikersund erst verloren und dann wiederentdeckt zu haben.