Die Hoffnung auf den Sieg bei der Vierschanzentournee hat sich nicht erfüllt
Als Horst Hüttel, im ZDF als „Teammanager“ für Skispringen und Nordische Kombination nach dem Wettkampf in Bischofshofen vor die Kamera trat und nach seiner Tourneebilanz gefragt wurde, da packte der sportliche Leiter die große diplomatische Keule aus. „Wir sind grundsätzlich zufrieden mit der Tournee“, gab Hüttel zu Protokoll und legte nach: „obwohl natürlich nicht alle Träume aufgegangen sind.“ Das ist sehr schön formuliert und trifft die Gefühlslage der Mannschaft wohl auch im Kern. Denn nach dem grandiosen Triumph von Polens Überflieger Kamil Stoch steht fest: Die DSV-Adler müssen im kommenden Winter einen erneuten Anlauf auf das oberste Podest der Vierschanzentournee nehmen. Das kann ein gutes Omen sein, denn der letzte Tournee-Gesamterfolg wird dann genau 20 Jahre zurückliegen und bei runden Jubiläen zu siegen, ist bekanntlich besonders schön. Hoffnung macht auch die Bilanz von Karl Geiger oder wie in Bischofshofen formuliert wurde der Geiger-Countdown: 2019/2020 Dritter, 2020/2021 Zweiter, 2021/2022 …

Zufriedenheit sieht anders aus
Aber Zufriedenheit im deutschen Team sieht anders aus, vorgeführt beispielsweise beim Weltcup-Auftakt in Wisla oder beim Skifliegen in Planica. Denn – auch das ist unstrittig – man hatte sich mehr vorgenommen, wollte um den Gesamtsieg mitkämpfen, mannschaftliche Stärke zeigen. Beides gelang nur bedingt. Spätestens nach Innsbruck war klar – mit dem Tourneesieg hatten die Deutschen nichts mehr zu schaffen. Zu groß war der Rückstand auf Kamil Stoch, zu dominant die Polen, zu schwankend die Leistungen auch der beiden DSV-Überflieger Karl Geiger und Markus Eisenbichler. Letztgenannter vergeigte gleich den ersten Wertungssprung in Oberstdorf, kämpfte sich mit einer Energieleistung zurück in die Top-Ränge, war nach dem Neujahrsspringen noch mit dabei, patzte dann aber in Bischofshofen.
Vierschanzentournee: „Schicksalsberg“ Bergisel?
Die Schanze auf dem Hügel vor Innsbruck zum „Schicksalsberg“ zu stilisieren mag nett klingen, trifft es aber nicht, schließlich waren es gerade Eisenbichler und Geiger, die im Februar 2019 genau auf dieser Anlage der Konkurrenz davonflogen. Das klappte im Januar 2021 leider nicht, auch nicht bei Karl Geiger, der aus seiner Unzufriedenheit über das mäßige Abschneiden in der Landeshauptstadt Tirols auch gar keinen Hehl machte.
Der Skiflugweltmeister sprang dennoch insgesamt hervorragend. Gewann auf dem heimischen Bakken in Oberstdorf, lieferte in Partenkirchen und hatte vor allem in Bischofshofen die richtige Antwort auf die Innsbrucker Enttäuschung parat, Geiger kam auf der Paul-Ausserleitner-Schanze erneut aufs Treppchen und wurde Tournee-Zweiter – eine tolle Gesamtleistung, die noch aufgewertet wird, wenn man bedenkt, dass der Oberstdorfer im Dezember Dinge erlebte, die für ein Dutzend Jahre reichen würden. WM-Titel, Geburt des Kindes, Corona-Erkrankung, Tournee-Heimsieg. Das alles zu verdauen und dennoch (nahezu) konstant Weltklasse-Leistungen abzuliefern, das zeichnet den Mann aus dem Allgäu aus und macht Hoffnung auf die WM. Mannschaftlich sollte man die Hoffnung auf die Titelverteidigung bei der Weltmeisterschaft Ende Februar natürlich auch noch nicht abschreiben, zu übergroßen Hoffnungen geben die Resultate der Vierschanzentournee allerdings keinen Anlass.
Zweiter Anzug passt (noch) nicht
Selbst wenn man den verkorksten 1. Durchgang von Eisenbichler am Finaltag mal unter der Rubrik „Unfall“ verbucht, nach den beiden Vorfliegern im deutschen Team klafft eine Lücke. Die Stars vergangener Jahre, Severin Freund, Andreas Wellinger und Richard Freitag, sind noch weit weg von einstigen Glanzleistungen, kämpfen nach teils schweren und langwierigen Verletzungen um Anschluss an die Weltelite. Auf David Siegel trifft das auch zu, bei Pius Paschke, der vor der Tournee mit Spitzenplätzen auf sich aufmerksam machte, war wohl ein wenig die Luft raus und vielleicht wäre für Constantin Schmid eine Pause nach Garmisch-Partenkirchen hilfreich gewesen. Der Oberaudorfer zeigte aber zumindest am Finaltag der Tournee noch solide Flüge. Das gelang Martin Hamann nicht, der auch in Oberstdorf patzte, ansonsten aber zumindest andeutete, dass mit ihm in Zukunft auch auf vorderen Plätzen gerechnet werden kann.
Weiter, immer weiter…
Es bleibt also noch eine Menge zu tun für die Schützlinge von Bundestrainer Stefan Horngacher. Wann, das ist eine der großen Fragen dieses Winters, denn die Karawane zieht weiter – große Pausen gibt es nicht. Aber das dritte große Saisonhighlight und dafür kehren die Springer (fast) am Ende der Saison noch einmal nach Oberstdorf zurück – zur WM im eigenen Land. Und wenn die Organisatoren der WM am Schattenberg und im Ried dann ebenso gut agieren, wie (gemeinsam mit den Partnern in den drei anderen Stationen) bei der Tournee, dann kann auch Horst Hüttel nach dem Ende der Welttitelkämpfe wieder ein positives Fazit ziehen.